Archivierung japanischer Games – 2

Videospiele als eine menschliche Erfahrung

Wenn Games in einer wissenschaftlichen Bibliothek aufbewahrt werden, und wenn die Erfahrungen an ihnen für die Forschung zugänglich gemacht werden sollen, dann tauchen sofort andere interessante Seite dieses Mediums auf als lediglich die Seite der Archivierung des reinen Materials.
Wie im letzten Artikel erwähnt, treten Attribute menschlicher Erfahrung wie Einmaligkeit oder Nichtwiederholbarkeit sehr intensiv zu Tage.  Eine Spielsituation, die im Spiel hervorgerufenen Emotionen und Reaktionen sind nicht in einem Speichermediums enthalten. Sie entstehen erst in der Berührung mit dem Medium und sind vom kulturellen sowie sozialen Kontext abhängig. Ausserdem sind sie sehr flüchtig. Was wäre aber, wenn jemand über solche Reaktionen der Spieler forschen will?
Durch solch einen Sachverhalt wird die Archivierung also erneut in Frage gestellt – also was wollen wir denn aufheben? Plastikscheibe, Spielkonsole, Controller? Nicht nur solche Materialien, sondern auch ihre Contents und darüber hinaus die Erfahrungen der Menschen damit. Prof. Hosoi an der Ritsumeikan Univ. schlägt hier vor, 5 Kategorien im Hinblick auf die Game-Archivierung einzuführen (1).
  • Charaktere und Hintergrundbilder
  • Soundeffekt und Background Musik
  • Reihenfolge der Spielsequenz
  • Relation zwischen Controller und Charaktere
  • Spielgefühl (Gefühl beim Steuern mit Controller)
Die Art und Weise der Kategorieaufteilung erleichtert einerseits die Speichermethode. Wenn z. B. Charaktere und Hintergrundbilder gesondert aufbewahrt werden sollen (abgesehen vom Wiedergabegerät), sollen lediglich die Bildelemente berücksichtigt werden. Andererseits sagt diese Aufteilung – vor allem die 4. und 5. Kategorie – bereits, dass sich der Gegenstand der Archivierung nicht im rein akustischen oder visuellen Content einschränken lässt.
Hier wird das Werkzeug oder Ding als Medium zwischen dem interaktiven Inhalt/Information und den Menschen stark sichtbar. Darüber hinaus rückt es als solches in unser Bewusstsein, das unsere Erfahrung überhaupt ermöglicht. Es ist nicht das leere Gehäuse, Platte oder Blatt, das gefüllt werden soll. Erst durch das Werkzeug oder Ding wird der Zugang zu Information und ferner zur Interaktion mit der Information geschaffen. Dies ist der Aspekt, der durch die Archivierung des Videogames für die Behandlung anderer Medien erneut angedacht werden könnte.
Hosoi nennt im erwähnten Beitrag eine weitere Methode des Videospiels. Es ist die Videoaufzeichung des Spielens und des Spielers (2). Im Game Archiving Project (GAP) der Ritsumeikan Univ. werden für wissenschaftliche Zwecke simultane Videoaufzeichungen ebenfalls aufbewahrt. Dabei wird nicht nur die Spielszene, sondern auch das Verhalten des Spielers und der Umgang mit dem Steuergerät aufgenommen. Die Aufzeichnung ist dann wichtig, wenn die Spielsituation aus historisch-kultureller Perspektive, und somit als Gegenstand der Wissenschaft, betrachtet werden soll (3).
Die Videoaufnahme als Archivgut scheint mir eine Frage des Archiv- und Bibliothekswesens zu verkörpern – Wie ist es möglich, eine menschliche, einmalige Erfahrung so aufzeichnen, dass die Aufnahme dem wissenschaftlichen Interesse der Nachwelt gerecht wird?
Die Archivierung der Videospiele ist daher nicht nur eine praktische Herausforderung für das Bibliothekswesen, sondern sie weist auf einen Bereich hin, dem die Bibliothek bald begegnen wird.




1) Hosoi, Kôichi. Dejitaru gêmu no âkaibu ni tsuite (デジタルゲームのアーカイブについて). In: Current Awareness no. 304 (2010). http://current.ndl.go.jp/ca1719 (Stand: 17.07.2018)
2) Zudem siehe auch: Nakamura, Akinori [et al]. Endeavors of Digital Game Preservation in Japan – A Case of Ritsumeikan Game Archive Project. (2017). https://ipres2017.jp/wp-content/uploads/Keynote-nakamura-edited-by-Nakayama.pdf (Stand: 17.07.2018)
3) Devin Monnens überlegt den Grund, weshalb die Videospiele archiviert werden müssen. Dabei nennt er 6 Facetten des Videospieles – als Teil der Geschichte, intellektuelles Eigentum, Design, Kunstwerk, Kultur und Unterhaltung. Lowood, Henry [et al]. Before It’s Too Late: A Digital Game Preservation White Paper. (2009). In: American Journal of Play, Volume 2, Issue 2, Fall October 1, 2009, pages 139-166. http://digitalcommons.calpoly.edu/lib_fac/107/ (Stand: 17.07.2018)

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